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Treffen beim Aufstellen zum Oktoberfestzug 2024: Karl Stankiewitz und Anton Hötzelsperger. Foto: Hötzelsperger

Die Lederhose – eine bayerische Geschichte
Getragen, erlebt und erzählt von Karl Stankiewitz

Von Karl Stankiewitz
Das Oktoberfest Nr. 189 nähert sich dem Ende. Bald wird München wieder „zivilisiert“ sein, sozusagen. Bis dahin zeigt sich die Stadt jedoch weiterhin in festlicher Tracht. Lederhosen und Dirndl prägen nach wie vor das Straßenbild, die öffentlichen Verkehrsmittel und natürlich die Wiesn. Und nicht zuletzt auch die Spalten der Zeitungen, bis hin ins Feuilleton. Mir persönlich ruft dieses Szenario Erinnerungen an meine ganz eigene Lederhosengeschichte wach.

Gleich nach dem Stichtag, dem 20. Juni 1948 – einem Sonntag – kaufte ich mir von den 40 neuen Deutschen Mark, die jeder Bürger der Westzonen als Umtausch gegen die alte Reichsmark erhielt, etwas „Haltbares“: eine hellgraue Lederhose. Dazu einen schwarzen Hosenträger mit einem Gamsbock aus elfenbeinähnlichem Kunststoff auf der Vorderseite. Es handelte sich um kniefreie Hosen aus ungarischem Pferdeleder – so zumindest behauptete es der Hersteller in seinem Traditionsladen am Heilig-Geist-Eck, den es auch heute noch gibt. Stolz spazierte ich mit meiner neuen Errungenschaft durch die Redaktionsgänge der Süddeutschen Zeitung, wo ich damals als Volontär tätig war.

Jahrelang trug ich „mei Lederhosn“ in der Stadt, dann immer seltener, schließlich fast nur noch bei Gartenarbeiten, Ausflügen in die Berge und auf der Wiesn. Nach dem Motto „gleich und gleich gesellt sich gern“ kaufte meine Schwägerin Alwine, mit der ich oft wanderte, in Kufstein eine Damenausführung des ursprünglich tirolerischen Kleidungsstücks. Ihre Hose war schwarz und sehr kurz – allerdings nicht aus Leder, sondern aus robustem Stoff. Ein „Hosentürl“ war nur aufgenäht. „Hätt's überhaupt net braucht“, stellte die glückliche Trägerin fest. Fast jedes Jahr flog mein mexikanischer Schwager Demetrio nach München, um das größte Volksfest der Welt zu besuchen und das Bier zu genießen, das er noch aus Studententagen kannte. Einmal bat er mich, ihm meine Lederhose zu leihen. Claro, sagte ich. Er sah nun recht drollig aus – ein Azteke im Bayernlook. Natürlich ließ er sich für seine Familie in Mexiko fotografieren, Alwine widmete ihm dazu sogar ein Gedicht.

Lederhose jetzt im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg
Eines Tages fragte mich das Haus der Bayerischen Geschichte, ob es meine Lederhose haben könnte. Man hatte in Augsburg aus meinem Buch „Eine Jugend in München“ von deren Hintergrund erfahren. Und so wurde das längst speckige, kaum noch tragbare Stück im neuen Regensburger Museum feierlich in eine Vitrine gehängt – als Dokument des deutschen Wirtschaftswunders, das ja mit der Währungsreform seinen Anfang nahm. Die Süddeutsche Zeitung titelte dazu vierspaltig: „Nationallederhosenträger“.

Inzwischen ist die Lederhose zu einem Symbol für das Oktoberfest schlechthin geworden. Vergleichbar mit dem alljährlich prämierten Maßkrug. Heuer scheint die Lederhose ihren Höhepunkt erreicht zu haben – nicht nur auf der Wiesn, sondern in ganz München, wo fast jeder „lederhosensüchtig“ zu sein scheint, allen voran eine gewisse Prominenz. Sogar Ministerpräsident Markus Söder, der der Publicity nie abgeneigt ist, ließ sich in einem Bierzelt mit kurzer Lederhose ablichten. Doch das kommt nicht überall gut an. Mehrere Wirte in der Innenstadt sehen Trachtenträger – besonders in kniefreien Lederhosen oder aufgebrezelten Dirndlröcken – kritisch. Insbesondere das Fotografieren unter den Röcken, bekannt als „Upskirting“, wurde verboten.

Manche begrüßen solche Verbote ausdrücklich. So wollte auch manch ein Mandatsträger heuer keine Tracht mehr tragen. Mein Freund Toni, Pressesprecher des Trachtenverbandes, verzichtete - als wir uns zufällig beim Aufstellen zum großen Wiesneinzug trafen - aber auf seine Lederhose natürlich nicht. Dennoch: die Kritik an der „Schicki-Micki-Show“ riss nicht ab. Christian Mayer von der SZ glossierte in der Halbzeitbilanz die „große Schicki-Show“, während der frühere Chefredakteur Kurt Kister in seiner immer lesenswerten Kolumne aus Dachau kundtat, dass er diese „große Verkleidungsveranstaltung“ niemals besuchen werde. Ich hingegen bin überzeugt, dass München und Altbayern niemals auf dieses traditionsreiche Kleidungsstück verzichten werden - Euer Karl Stankiewitz.

Wikipedia: Karl Stankiewitz (* 27. Oktober 1928 in Halle (Saale)) ist ein in München lebender deutscher Journalist und Autor. Er arbeitet seit 1947 als Journalist und ist Autor
von 38 Sachbüchern.

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